Diskriminierung von „Hartz IV-Empfängern“ auf dem Wohnungsmarkt
Beschreibung
"Das deutsche Sozialleistungssystem erkennt die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen an, soweit diese angemessen sind (§ 22 I 1 SGB II). Damit ist aber nicht gesagt, ob sich ein Leistungsempfänger mithilfe dieser aus Steuermitteln finanzierten Zahlungen auch tatsächlich mit Wohnraum versorgen kann. Denn in unserer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung muss er sich – sofern ihm nicht ein Eigenheim zur Verfügung steht – das Gut „Wohnung“ auf dem Wohnungsmarkt besorgen, d.h. er muss mit einem anderen Marktteilnehmer eine Einigung über einen privatrechtlichen Mietvertrag gem. § 535 BGB herbeiführen. Damit unterliegt die Befriedigung seines existenziellen Bedürfnisses Wohnen zwei faktischen Beschränkungen nicht-finanzieller Art: sie hängt nicht nur von der Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums auf dem Wohnungsmarkt ab, sondern auch von dem Verhalten eines anderen Marktteilnehmers, der in Ausübung seiner negativen Vertragsbegründungsfreiheit von der Eingehung eines Mietverhältnisses absehen kann. Dass es dabei zu diskriminierendem Verhalten zulasten der Empfänger von Arbeitslosengeld II kommt, ist immer wieder zu lesen und tritt am deutlichsten in Wohnungsinseraten mit dem Anforderungsprofil „keine Hartz IV-Empfänger“ hervor. Das Ausmaß der Diskriminierung wurde bislang nicht systematisch mithilfe eines Experiments in natürlicher Umgebung untersucht. In bestehenden Studien zur Analyse von Diskriminierung auf dem Mietwohnungsmarkt standen meist die Diskriminierung aufgrund Herkunft und Ethnie sowie die unmittelbare Geschlechterdiskriminierung im Vordergrund. Mit der im folgenden Beitrag vorgestellten Feldstudie sollte diese Lücke geschlossen und die Frage beantwortet werden, ob in angespannten Wohnungsmärkten Empfänger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter sonst gleichen Umständen die gleichen Chancen wie Bezieher von vergleichbar hohem Einkommen haben, für den Abschluss eines Mietvertrags berücksichtigt zu werden. Der gewonnene Befund wirft die rechtliche Frage auf, ob eine in der Vermieterpraxis vorzufindende diskriminierende Struktur zulasten von Leistungsempfängern mithilfe des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots aufgebrochen und damit eine Zugangsbarriere zum Mietwohnungsmarkt für diese Personengruppe abgebaut werden kann." (Textauszug, IAB-Doku, © Beck)
Zitationshinweis
Kraft, Julia, Andreas Mense & Matthias Wrede (2020): Diskriminierung von „Hartz IV-Empfängern“ auf dem Wohnungsmarkt. Empirische Befunde und (auch rechtsvergleichende) Überlegungen zum vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutz von Leistungsempfängern der Grundsicherung für Arbeitsuchende. In: Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht, Jg. 23, H. 19, S. 826-831.