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Publikation

Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns aus ökonomischer Perspektive

Beschreibung

"Beurteilt man Mindestlöhne gemäß der klassischen ökonomischen Theorie, so wären massive Beschäftigungsverluste als ernüchterndes Ergebnis festzuhalten. Dies ist dadurch begründet, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigte nicht höher entlohnen können als der Wert den diese erwirtschaften. Ist der Arbeitgeber gezwungen wegen eines Mindestlohns Löhne zu zahlen, die oberhalb der Wertschöpfung liegen, würde dieser einen Verlust machen. Gemäß dieser Argumentation führen wirksame Mindestlöhne zu einer Beschäftigtenreduktion. Liegt jedoch der Lohn abweichend von der klassischen ökonomischen Theorie unterhalb der Wertschöpfung, etwa weil die Arbeitgeber eine gewisse Marktmacht auf dem Produkt- oder dem Arbeitsmarkt haben, so kann ein Mindestlohn diese Arbeitgeber dazu zwingen produktivitätskonforme Löhne zu zahlen. In diesem Szenario würden die Gewinne auf die Beschäftigten umverteilt ohne dass es zu Beschäftigungsverlusten kommt. Vielmehr könnte sich die Beschäftigung sogar erhöhen wenn sich mehr Personen zum Mindestlohn dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellten. Betrachtet man die Daten des IAB-Arbeitsmarktspiegels, so hat sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung über die Einführung des Mindestlohns hinweg positiv entwickelt und folgte damit dem Trend der Vorjahre. Bei der geringfügigen Beschäftigung zeigte sich im Zeitraum der Einführung des Mindestlohns ein sichtbarer Rückgang. Berücksichtigt man, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Minijobs mindestlohnbedingt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt wurde, beträgt der Verlust geringfügig entlohnter Beschäftigung zwischen 33.000 und 63.000 Stellen. Diese deskriptive Betrachtung beantwortet jedoch noch nicht die Kausalfrage, wie sich die Beschäftigung entwickelt hat, verglichen mit der hypothetischen Situation, dass kein Mindestlohn eingeführt wurde. Nur dieser Vergleich lässt eine Aussage darüber zu welchen Beschäftigungseffekt der Mindestlohn hatte, da es die politischen Entscheidungsoptionen miteinander vergleicht. Bossler und Gerner präsentieren zur Beantwortung dieser Fragestellung einen Differenzen-in-Differenzen-Ansatz, der betroffene Betriebe mit nicht-betroffenen Betrieben über die Zeit vergleicht. Die in diesem Kapitel veranschaulichten Ergebnisse zeigen einen negativen Beschäftigungseffekt, der verglichen mit ökonomischen Erwartungen vor der Einführung des Mindestlohns jedoch sehr moderat ausfällt. In der ökonomischen Beurteilung sind solche negativen Externalitäten auf die Beschäftigung den positiven Lohneffekten gegenüberzustellen. So zeigt die bisherige Evidenz deutlich sichtbare Effekte auf die Entlohnung und auch die Entlohnungszufriedenheit vom Mindestlohn betroffener Beschäftigter. Es sind jedoch weitere, möglicherweise noch unbekannte, ökonomische Effekte des Mindestlohns denkbar, die in eine abschließende Beurteilung einbezogen werden sollten. So wird in diesem Kapitel mit der Differenzen-in-Differenzen-Methode untersucht, ob der Mindestlohn zu einer Verringerung der Partizipation an Gewinnbeteiligungen führt. Da der Mindestlohn sich auf das Grundgehalt bezieht und außerplanmäßige Zahlungen zusätzlich zu leisten sind, könnte es sein, dass solche Sonderzahlungen zugunsten des Grundgehalts eingespart werden. Die Ergebnisse zeigen jedoch nur einen kleinen statistisch unpräzisen Rückgang. Dies ist wohl dadurch zu erklären, dass Gewinnbeteiligungen im Niedriglohnbereich ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spielen. Neben den in diesem Kapitel dargestellten empirischen Auswirkungen sind noch weitere Anpassungen infolge des Mindestlohns denkbar. Ein aktuell in der Forschung diskutierter Mechanismus ist die Weitergabe mindestlohninduzierter Kosten auf die Absatzpreise. Es ist also möglich, dass es weitere Gründe gibt warum Mindestlöhne bisher kaum negative Auswirkungen auf die Beschäftigung zu haben scheinen. Die hier dargestellte Beurteilung ist demzufolge als eine vorläufige noch nicht abgeschlossene Bilanz des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland zu interpretieren." (Textauszug, IAB-Doku)

Zitationshinweis

Bossler, Mario (2019): Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns aus ökonomischer Perspektive. In: C. Arnold & P. Fischinger (Hrsg.) (2019): Mindestlohn: interdisziplinäre Betrachtungen, Tübingen, Mohr Siebeck S. 43-65, akzeptiert am 15.01.2017.