Soziale Einstellungen in der Organisationsgesellschaft
Beschreibung
"Der Beitrag untersucht die Bedeutung betrieblicher Einkommens- und Karrierechancen für Einstellungen zur gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit. Auf der Grundlage organisationstheoretischer Argumente der neueren soziologischen Klassentheorien und den Befunden der Arbeitsmarkt- und Organisationsforschung wird zunächst die eigenständige Rolle von Erwerbsorganisationen für die Positionszuweisung in der Sozialstruktur einer Gesellschaft aufgezeigt. Begründet wird dies damit, dass betriebliche Einkommens- und Karrierechancen als Kollektivgüter zu verstehen sind, mit der Konsequenz, dass bereits die bloße Mitgliedschaft in einem Betrieb Einkommens- und Karrierechancen eröffnet oder verschließt. Unter der Annahme einer an der 'Logik der Situation' orientierten und über lerntheoretische Mechanismen vermittelten Einstellungsbildung wird darauf aufbauend die Bedeutung von Arbeitsorganisationen für die Ausbildung allgemeiner sozialer Einstellungen diskutiert. Die Annahme besteht darin, dass die strukturellen Merkmale einer Organisation nicht nur für arbeitsund organisationsbezogene, sondern gerade auch gesellschaftspolitisch relevante Einstellungen wichtig sind. Für eine erste empirische Überprüfung wird auf die 1991 in den USA erhobene und mit Daten des ISSP von 1992 verknüpfte Querschnittsstudie des National Organization Study (NOS) zurückgegriffen. Anhand von Strukturgleichungsmodellen wird der Zusammenhang zwischen der betrieblichen Verteilungsstruktur und gesellschaftsbezogenen Gerechtigkeitseinstellungen untersucht. Die beobachteten Effekte bestätigen weitgehend die theoretisch abgeleiteten Hypothesen. So sprechen sich Beschäftigte mit niedrigen betrieblichen Einkommens- und Mobilitätschancen und einer betrieblichen Praxis der internen Stellenbesetzung stärker für eine staatliche Regulierung sozialer Ungleichheiten aus. Vorgesetzte und Beschäftigte in profitorientierten Unternehmen, die zudem noch über hohe Karrierechancen im Betrieb verfügen, plädieren dagegen für eine gesellschaftliche Verteilungsordnung, die sich durch hohe soziale Ungleichheiten auszeichnet. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass die über Arbeitsorganisationen vermittelten Karriere- und Einkommenschancen für die Ausbildung und Formierung allgemeiner, gesellschaftsbezogener Einstellungen der Beschäftigten entscheidend sein können Ð genauere Auskunft über die kausale Richtung dieses Zusammenhangs können jedoch erst Längsschnittstudien geben." (Autorenreferat, IAB-Doku)
Zitationshinweis
Liebig, Stefan & Alexandra Krause (2006): Soziale Einstellungen in der Organisationsgesellschaft. Betriebliche Strukturen und die gerechte Verteilungsordnung der Gesellschaft. In: Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung, Jg. 39, H. 2, S. 255-276.