Aktivierende Individualisierung
Beschreibung
"Der Beitrag von Andreas Hirseland und Werner Schneider beschäftigt sich mit der Bedeutung und dem Strukturwandel der Individualisierung in der Moderne und zielt darauf ab, den Zusammenhang von Institutionen- und Subjektebene umfassender auszubuchstabieren. (...) Das sich verändernde Arrangement von Selbst- und Fremdführung erläutern sie am Beispiel der Entwicklung des Wohlfahrtsstaats. Modernisierung schlägt sich hier im sukzessiven Umbau von einem ver- und fürsorgenden System zu einem vorsorgenden, aktivierenden Regime nieder, das seinerseits auf einen neuen Individualisierungsschub verweist. Der Schwerpunkt wohlfahrtsstaatlicher Politik liegt nicht mehr bei den klassischen Schutzrechten, sondern es geht um eine 'aktivierende Individualisierung', nämlich um die Gewährung individueller Anrechte in einer universalisierten Arbeitsgesellschaft. Während es im Rahmen der Ersten Moderne mit ihrer Formierung von Zentralstaaten, der Trennung von öffentlich/privat, dem Normalarbeitsverhältnis und der Normalbiographie noch darum ging, über die institutionelle Disziplinierung des individuellen Körpers einen einheitlichen Gesellschaftskörper zu schaffen und zu sichern, scheint heute die flächendeckende Durchsetzung eines neuen Subjektivitätstyps im Vordergrund zu stehen. In diesem Zusammenhang verbinden sich die alten Herrschaftsinstitutionen der äußeren Disziplinierung und Kontrolle mit den früheren 'Gegenmächten' Autonomie und Freiheit, indem deren Autonomiebegehren gewendet und auch gegen Widerstände durchgesetzt wird. So zeigen die Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen der letzten Jahre, dass das ehedem 'beherrschte' Subjekt entlang der institutionellen Neuausrichtung von alten Kontrollen freigesetzt und einer imperativischen 'Sorge um sich selbst' (vgl. Foucault 1989) ausgesetzt wird. Unter der Devise 'Fordern und Fördern' sowie 'Hilfe zur Selbsthilfe' werden die Technologien des Selbst reflexiv-modern und verweisen auf totalisierende Autonomiezuschreibungen sowie weiterführend auf eine radikalisierte und entsicherte Verpflichtung zur eigenverantwortlichen 'Selbst-Herstellung' als Mitglied der Arbeitsgesellschaft." (Textauszug, IAB-Doku)
Zitationshinweis
Hirseland, Andreas & Werner Schneider (2011): Aktivierende Individualisierung. Zum Wandel von Macht und Herrschaft in der zweiten Moderne. In: W. Bonß & Lau Christoph (Hrsg.) (2011): Macht und Herrschaft in der reflexiven Moderne, S. 148-174.