Zum Anstieg der Religiosität in der postsowjetischen Ukraine: Empirische Befunde und theoretische Erklärungsansätze
Beschreibung
"Die Ausgangsfrage dieser Untersuchung, ob es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wirklich zu einem starken Aufschwung von Religiosität und Kirchlichkeit in der Ukraine kam, kann eindeutig positiv beantwortet werden. Unsere empirische Analyse zeigt, dass sich dieser Aufschwung in zwei Schüben vollzog: Der spätsowjetische Aufschwung lässt sich auf die Jahre 1987–1992 und der postsowjetische Aufschwung auf die Jahre 1999–2009 datieren. Auf dem Höhepunkt des Letzteren, im Jahr 2008, erreichte der Anteil der sich zur Religion bekennenden Ukrainer rund 80%. Diese Zahl erscheint auf den ersten Blick sehr hoch. Sie relativiert sich aber zum einen dadurch, dass sie infolge einer entsprechenden Frageformulierung einen Teil der Schwankenden absorbiert; zum anderen geht sie, wie wir gezeigt haben, zu einem großen Teil auf den Zuwachs von nomineller Bekenntnis zur Religion in der Bevölkerung des ukrainischen Zentrums, Ostens und Südens zurück. Der Westen der Ukraine stellt einen Sonderfall dar: Dort sind – und waren schon in den 1990er Jahren – fast alle Menschen sehr bis gemäßigt religiös. Die viel bemühten soziologischen Konzepte der Sozialisation (verstanden als allgemeine soziohistorische Prägung, etwa durch »den Sozialismus«), Individualisierung und Modernisierung lassen sich somit als Erklärungsfaktoren der Desäkularisierung der postsowjetischen ukrainischen Gesellschaft nur begrenzt heranziehen. Vor allem die Modernisierungsthese scheint eher für oberflächliche Makrovergleiche zu taugen, die in der gegenwärtigen Religionssoziologie ziemlich beliebt sind,59 sowie eine erneute Bestätigung der recht allgemeinen Korrelation zwischen dem wirtschaftlichen Entwicklungsniveau bzw. Transformationsfortschritt und religiösen Orientierungen." (Textauszug, IAB-Doku, © Peter Lang Verlag)
Zitationshinweis
Gatskov, Maxim & Kseniia Gatskova (2015): Zum Anstieg der Religiosität in der postsowjetischen Ukraine: Empirische Befunde und theoretische Erklärungsansätze. In: K. Boeckh & O. Turij (Hrsg.) (2015): Religiöse Pluralität als Faktor des Politischen in der Ukraine, S. 153-187. DOI:10.3726/b12074