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Publikation

Sanktionierbarkeit und Sanktionen aus Sicht von Leistungsberechtigten

Beschreibung

"Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (beispielsweise aufgrund von verpassten Terminen beim Jobcenter oder der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit) werden nicht erst seit der Bürgergeldreform kontrovers diskutiert. In diesen Diskussionen kommen Leistungsberechtigte nur selten zu Wort. Doch wer die Wirkungen von Sanktionen verstehen will, muss die Perspektive der Leistungsberechtigten untersuchen und verstehen. Wir gehen daher in diesem Forschungsbericht der Frage nach, wie Leistungsberechtigte Sanktionierbarkeit – also die Möglichkeit, sanktioniert zu werden – und die tatsächliche Verhängung von Sanktionen im Umgang mit dem Jobcenter erleben. Empirische Grundlage sind Interviews mit Leistungsberechtigten aus den Jahren 2021 bis 2024. Inhaltliche Schwerpunkte der Interviews waren der Kontakt mit dem Jobcenter, Erfahrungen mit Forderungen und Unterstützungen des Jobcenters sowie – falls zutreffend – Erfahrungen mit Sanktionen. Leistungsberechtigte wissen in der Regel um die Möglichkeit einer Sanktion, wenngleich die Interviews darauf hindeuten, dass eine detaillierte Kenntnis von Sanktionsregeln und -abläufen eher die Ausnahme ist. Ein Bewusstsein dafür, dass das Jobcenter bestimmte Forderungen stellt und es negative Konsequenzen hat, wenn sie diesen Forderungen nicht nachkommen, ist unter den Befragten weit verbreitet. Dieses Wissen erwerben Leistungsberechtigte nicht nur im Jobcenter, sondern auch aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder aus den Medien. Sanktionsmöglichkeiten können für Leistungsberechtigte auch dann den Umgang mit dem Jobcenter prägen, wenn sie dort nicht explizit zum Thema werden. Auf der Grundlage dieses Wissens gehen Leistungsberechtigte unterschiedlich mit Sanktionierbarkeit um. Ein Weg ist, sich im Interview von der eigenen Sanktionierbarkeit zu distanzieren und ihr eine geringe Relevanz für den eigenen Umgang mit dem Jobcenter zuzusprechen. Ein anderer Weg ist eine konfrontative Auseinandersetzung mit dem Thema, indem die eigenen Erfahrungen damit als ungerechtfertigt dargestellt werden. Ein wiederum anderes Umgangsmuster ist es, die eigene Sanktionierbarkeit hinzunehmen und sich selbst die Schuld zuzuschreiben, wenn das Jobcenter mit Sanktionen droht oder diese verhängt. Ebenso vielfältig sind die Wirkungen der Sanktionierbarkeit. Das Bewusstsein der Sanktionierbarkeit geht mit einem Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Jobcenter einher und kann zur Ausbildung von Routinen der Sanktionsvermeidung beitragen. Es wird jedoch auch regelmäßig mit Gefühlen wie Unverständnis, Trotz, Angst und Misstrauen in Verbindung gebracht. Diese Gefühle können eine vertrauensvolle Beratungsbeziehung erschweren. Leistungsberechtigte deuten auch Erfahrungen jenseits der rechtlich normierten Pflichtverletzungen und Meldeversäumnisse als Sanktion, beispielsweise Rückzahlungsforderungen, Verzögerungen bei der Antragsbewilligung oder wenn das Jobcenter bei einer nicht im Vorfeld abgestimmten Ortsabwesenheit die Geldleistungen einstellt. Als einer Sanktion ähnlich werden zudem nicht bewilligte Förderungen besprochen. In der Regel werden Sanktionen als negative Erfahrung geschildert. Der Umgang mit Sanktionen ist stets mit einer Form von Bewältigung verbunden, die vom passiven Dulden bis zu aktivem Widerstand reicht. Bemühungen, eine Sanktion abzuwenden, bleiben die Ausnahme. Anhörungs- und Widerspruchsverfahren zu nutzen, kostet die Leistungsberechtigten Ressourcen und Überwindung und kann bei Misserfolg das Gefühl von Machtlosigkeit verstärken. Die Ergebnisse des Forschungsberichts können dazu beitragen, die emotionale und hochkontroverse Debatte um Sanktionen breiter zu führen. Diese konzentriert sich zurzeit stark auf das Für und Wider bestimmter Sanktionshöhen und -dauern, und häufig wird argumentiert, Sanktionen seien nur für einen kleinen Teil der Leistungsberechtigten relevant. Aus Sicht der Leistungsberechtigten ist jedoch bereits die Möglichkeit, sanktioniert zu werden, bedeutsam. Diese betrifft alle Leistungsberechtigten." (Autorenreferat, IAB-Doku)

Zitationshinweis

Köppen, Magdalena, Stefan Bernhard, Stefan Röhrer & Monika Senghaas (2025): Sanktionierbarkeit und Sanktionen aus Sicht von Leistungsberechtigten. (IAB-Forschungsbericht 04/2025), Nürnberg, 26 S. DOI:10.48720/IAB.FB/2504

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