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Publikation

Migrationswirkungen des 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes

Beschreibung

"Im März 2020 hat Deutschland mit der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG) sein Instrumentarium zur Steuerung der Erwerbsmigration reformiert. Die Änderungen konzentrierten sich in erster Linie auf die Lockerung der Einwanderungsvoraussetzungen für Fachkräfte mit Berufsausbildung, den Abbau formaler Migrationshindernisse und die Vereinfachung von Verfahren, beispielsweise bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Das Hauptziel des FEG war es, eine größere Anzahl von Erwerbsmigrantinnen und -migranten aus Nicht-EU-Ländern anzuziehen. Die Umsetzung erfolgte vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und eines tendenziell zunehmenden Fachkräftemangels auf dem deutschen Arbeitsmarkt, bei einem gleichzeitigen Rückgang der Einwanderung aus den EU-Ländern. Dieser Forschungsbericht untersucht, ob die Einführung des FEG tatsächlich die Erwerbsmigration von außerhalb der EU nach Deutschland erhöht hat. Dazu wird mithilfe administrativer Daten untersucht, ob infolge des FEG mehr erwerbsbezogene Aufenthaltstitel an Drittstaatsangehörige ausgegeben wurden. Die Schätzung des kausalen Effektes des FEG wird jedoch durch zwei Herausforderungen erschwert: Erstens betraf das FEG potenzielle Migrantinnen und Migranten in allen Nicht-EU-Ländern gleichermaßen. Ein einfacher Vergleich der Migration aus betroffenen und nicht betroffenen Herkunftsländern ist also nicht möglich. Die Studie entwickelt deshalb einen neuartigen Schätzansatz, der stattdessen mehr oder weniger stark betroffene Herkunftsländer miteinander vergleicht. Als ein Proxy dafür, wie stark ein Herkunftsland von den Reformen des FEG potenziell betroffen ist, wird dabei das jeweilige Migrationspotenzial eines Landes herangezogen. Dieses wird mithilfe von weltweiten Befragungen gemessen, die darüber Aufschluss geben, wie groß der Anteil der Bevölkerung eines Herkunftslandes ist, der nach Deutschland als Zielland der ersten Wahl für die Auswanderung angibt. Wenn das FEG die Hürden der Erwerbsmigration gesenkt hat, dann sollte der Effekt größer sein für Länder, in denen es mehr Migrationswillige nach Deutschland gibt – und entsprechend kleiner in Ländern mit einem nur geringen Potenzial an entsprechenden Personen. Allerdings ist es möglich, dass die Erwerbsmigration aus Ländern mit einem größeren Migrationspotenzial bereits vor dem FEG einem steigenden Trend folgte, der sich auch ohne dessen Einführung fortgesetzt hätte. Diese Studie untersucht derartige Trends explizit und diskutiert, inwiefern diese zu Verzerrungen in der geschätzten Wirkung führen könnten. Zudem wird ein sogenannter Instrumenten-Variablen-Ansatz (IV) verwendet. In diesem wird das Migrationspotenzial der Herkunftsländer für Deutschland in einem ersten Schritt durch das Migrationspotenzial anderer vergleichbarer Zielländer in Europa approximiert. Dadurch werden spezifische Trends der Migration zwischen den Herkunftsländern und Deutschland reduziert. Weiterhin werden Placebo-Tests mithilfe von Daten zu Aufenthaltstiteln ohne Erwerbsbezug durchgeführt. Da diese nicht direkt von den Reformen des FEG betroffen waren, sollte hier keine Wirkung festzustellen sein – andernfalls wäre das ein Hinweis darauf, dass die gewählte Methode lediglich allgemeine Migrationstrends abbildet und nicht die Wirkung des FEG. Die zweite Herausforderung besteht darin, dass das FEG im März 2020 zeitgleich mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Kraft trat, in dessen Folge die Zuzüge nach Deutschland aufgrund der Reisebeschränkungen stark einbrachen. In einer Robustheitsanalyse wird deshalb geprüft, ob die geschätzte Wirkung des FEG durch einen Aufholeffekt nach dem Ende der Covid-19-Pandemie verzerrt sein könnte, der seinerseits mit dem Migrationspotenzial der Herkunftsländer korreliert sein könnte. Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass das FEG eine signifikant positive Wirkung auf die Erwerbsmigration aus Drittstaaten nach Deutschland hatte. Je nach dem Migrationspotenzial der unterschiedlichen Herkunftsländer erklärt das Inkrafttreten des FEG zwischen 10 und 70 Prozent des Anstiegs der zu Erwerbszwecken erteilten Aufenthaltstitel. Legt man für das Migrationspotenzial den Median 2 der Herkunftsländer zugrunde und rechnet die Wirkung auf alle Herkunftsländer hoch, so kann das FEG etwa 10.500 bzw. 31 Prozent der im Jahr 2022 neu ausgestellten erwerbsbezogenen Aufenthaltstitel erklären. Diese Zahl gilt jedoch nur unter starken Annahmen und ist lediglich als Richtwert für die ungefähre Größenordnung der absoluten Wirkung des FEG zu verstehen. Die Placebo- und Robustheitschecks sprechen dafür, dass die geschätzten Effekte tatsächlich kausale Wirkungen des FEG widerspiegeln. Die Ergebnisse gelten – wie alle empirischen Auswertungen – nur unter den getroffenen Annahmen und unterliegen einer gewissen statistischen Unsicherheit. Die Signifikanzanalysen zeigen jedoch, dass mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass das FEG einen positiven Effekt hatte. Dennoch erreicht die Erwerbsmigration aus Drittstaaten auch nach der Einführung des FEG noch bei weitem nicht das Niveau, das notwendig wäre, um die Folgen des demografischen Wandels für den deutschen Arbeitsmarkt langfristig auszugleichen und das Erwerbspersonenpotenzial auf dem gegenwärtigen Niveau zu stabilisieren. Wenn also das politische Ziel angestrebt wird, die gesteuerte Erwerbsmigration aus Drittstaaten langfristig weiter zu erhöhen, wären weitreichendere Reformen nötig. Diese sollten weitere Vereinfachungen der formalen Einwanderungsvoraussetzungen und der Anerkennung ausländischer Abschlüsse beinhalten. Darüber hinaus wären zusätzliche aktive Bemühungen zur Werbung und Unterstützung von ausländischen Fachkräften nötig. Dies könnte Dienstleistungen umfassen, die Migrationsinteressierte und auch deren mitreisende Familienangehörige gezielt bei der Stellensuche in Deutschland und bei der Orientierung nach der Ankunft unterstützen – etwa durch eine intensivere Förderung von Deutschkursen bereits im Herkunftsland oder nach deren Ankunft bei der Orientierung auf dem Wohnungsmarkt oder der Suche nach Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Auch gilt es, die Aufnahmebereitschaft und Toleranz der deutschen Gesellschaft zu stärken, um eine nachhaltige Integration zu fördern und die Attraktivität Deutschlands als Zielland zu wahren." (Autorenreferat, IAB-Doku)

Zitationshinweis

Adunts, Davit, Boris Ivanov & Ehsan Vallizadeh (2024): Migrationswirkungen des 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. (IAB-Forschungsbericht 25/2024), Nürnberg, 50 S. DOI:10.48720/IAB.FB.2425

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