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Publikation

Die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Energiekrise für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland

Beschreibung

"Der Forschungsbericht beschreibt die mittel- und langfristigen Folgen des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Deutschland. Auf Basis von Modellrechnungen werden zwei Szenarien simuliert: ein Szenario mit Krieg in der Ukraine, das die tatsächlichen Entwicklungen widerspiegelt (Referenz-Szenario) und ein (rein theoretisches) Szenario, in dem es zu keinem Krieg in der Ukraine gekommen wäre (Alternativ-Szenario „Frieden in Europa“). Ein Vergleich beider Szenarien soll anschließend zeigen, welche Folgen das Kriegsgeschehen auf verschiedene Wirtschaftsbereiche und Berufsgruppen in Deutschland haben könnte. Die Ergebnisse sind mit einer hohen Unsicherheit über den weiteren Kriegsverlauf behaftet und können, je nach Entwicklung, von den tatsächlichen künftig eintretenden Folgen für die Wirtschaft mehr oder weniger stark abweichen. Sie zeigen dennoch auf, welche Auswirkungen der Krieg auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt unter den getroffenen Annahmen haben kann und welche Wirtschaftszweige und Berufsgruppen besonders stark betroffen sind. Da aber vor allem hinsichtlich der weiteren Preisentwicklung bei den Energiepreisen hohe Unsicherheit besteht, wurde zusätzlich ein Verschärfungsszenario gerechnet, in dem davon ausgegangen wird, dass es zu einer doppelt so hohen Energiepreissteigerung kommt wie bislang beobachtet. Die Szenarien wurden anhand verschiedener Annahmen modelliert, die aus den Erkenntnissen des Eskalationsstandes von Ende Mai 2022 abgeleitet sind. Es wird davon ausgegangen, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen über den gesamten Analysezeitraum bestehen bleiben, selbst wenn der Krieg bis dahin beendet ist. Weitere Annahmen betreffen die Zahl der ukrainischen Geflüchteten, die nach Deutschland einwandern, die Entwicklung der Energie- und Importpreise, der Warenexporte und Lieferengpässe, der staatlichen Ausgaben für Verteidigung und nationale Sicherheit sowie der staatliche Entlastungspakete für Unternehmen und private Haushalte. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise sowohl mittel- als auch langfristig negativ auf die deutsche Wirtschaftsleistung und den deutschen Arbeitsmarkt auswirken. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird den Berechnungen zufolge im Jahr 2023 um rund 1,7 Prozent niedriger liegen, als es ohne den Krieg gelegen hätte. Das Wirtschaftswachstum wird insbesondere durch die gestiegenen Preise für fossile Rohstoffe abgeschwächt. Sie belasten sowohl die Exportwirtschaft als auch die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte. Die niedrigeren Exportaktivitäten tragen den größten Anteil an der schwächeren Wirtschaftsleistung. Bis 2030 verliert die deutsche Wirtschaft über 260 Milliarden Euro an Wertschöpfung, die durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise nicht realisiert werden kann. Auch auf dem Arbeitsmarkt kommt es zu überwiegend negativen Effekten. Zwischen 2022 und 2028 werden durchschnittlich 150.000 Personen weniger beschäftigt sein. Durch den Zuzug von Geflüchteten nimmt die Erwerbsbevölkerung in Deutschland zwar zu. Die schlechteren Wirtschafts- und Verdienstaussichten führen in den ersten Jahren jedoch zu einem nahezu unveränderten Arbeitskräfteangebot. Erst ab 2025 schlägt sich der Zuzug in einem höheren Arbeitskräfteangebot nieder. Aus Arbeitsmarktperspektive zählt das bereits durch die Covid-19-Pandemie gebeutelte Gastgewerbe auch im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise zu den größten Verlierern unter den Wirtschaftsbereichen. Denn die geringeren Konsumausgaben der privaten Haushalte führen hier zu einem deutlich niedrigeren Bedarf an Erwerbstätigen. Auch im Verarbeitenden Gewerbe kommt es zu einer niedrigeren Erwerbstätigkeit, wobei hier die Arbeitsintensität geringer ist als in vielen Dienstleistungsbereichen. Die Bereiche „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung“ sowie „Erziehung und Unterricht“ hingegen haben wegen der Reaktionen des Staates auf den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise einen höheren Bedarf an Arbeitskräften. Dies gilt sowohl mittel- als auch längerfristig und spiegelt sich auch in den dort tätigen Berufsgruppen wider. Während sich die aktuellen Engpässe in der Gastronomie durch den geringeren Personalbedarf entspannen dürften, verschärfen sich die Engpässe in Folge des Zuzugs von Geflüchteten bei Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen sowie bei Erzieherinnen und Erziehern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern. In der langen Frist zeigen sich zudem Verschiebungen der Erwerbstätigen hin zu höheren Anforderungsniveaus, die durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise bedingt sind. Ein Vergleich der Arbeitswelt anhand von Wirtschaftsbereichs-Berufs-Kombinationen verdeutlicht, dass es durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise nicht nur zum Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland kommt, sondern auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In Summe überwiegt zwar der Arbeitsplatzabbau, es kommt jedoch auch zu strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Diese sind besonders in der mittleren Frist stark ausgeprägt und flachen im Zeitverlauf ab. Angesichts dieser Ergebnisse ist in den kommenden Jahren mit einer geringeren Wertschöpfung, niedriger Erwerbstätigkeit und strukturellen Verschiebungen zwischen Wirtschaftsbereichen und Berufsgruppen zu rechnen. Die Herausforderung für Politik und Wirtschaft wird einerseits darin bestehen, Personen, die ihren Arbeitsplatz in Folge des Ukraine-Krieges und der Energiekrise verlieren, anderweitig in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Andererseits gilt es, den Engpässen in denjenigen Berufsgruppen entgegenzuwirken, in denen die Bedarfe durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise steigen, und in denen bereits heute ein knappes Arbeitsangebot herrscht. Falls ein nennenswerter Anteil der aus der Ukraine Geflüchteten in Deutschland bleibt, böte sich durch deren Integration in Beschäftigung angesichts des knappen Arbeitsangebots jedoch auch eine Chance. Sollte es jedoch zu einer doppelt so hohen Energiepreissteigerung kommen wie bislang beobachtet (+160%), wäre im kommenden Jahr das BIP um fast vier Prozent niedriger als im Alternativszenario. 2030 würde das BIP noch um ein halbes Prozent niedriger ausfallen. Auf dem Arbeitsmarkt würden unter diesen Annahmen nach drei Jahren 660 000 Personen (1,5%) weniger beschäftigt sein als im Alternativ-Szenario „Frieden in Europa“. 2030 wären noch 60 000 Personen (0,2%) Arbeitsplätze vom Abbau betroffen." (Autorenreferat, IAB-Doku)

Zitationshinweis

Zika, Gerd, Christian Schneemann, Enzo Weber, Johanna Zenk, Michael Kalinowski, Tobias Maier & Marc Ingo Wolter (2022): Die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Energiekrise für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland. (IAB-Forschungsbericht 11/2022), Nürnberg, 34 S. DOI:10.48720/IAB.FB.2211

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