Die Anspruchslöhne von erwerbslosen Geflüchteten liegen in den ersten beiden Jahren nach der Zuwanderung über dem durchschnittlichen Niveau von anderen Migrantengruppen in Deutschland. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer sinken sie. Im Durchschnitt sind arbeitsuchende Geflüchtete bereit, für den angegebenen Monatsverdienst mehr Stunden zu arbeiten. Das zeigen Ergebnisse einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 lag der monatliche Anspruchsverdienst – also das minimal geforderte Gehalt zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit – von erwerbslosen Geflüchteten inflationsbereinigt bei 1.529 Euro netto. Bei anderen erwerbslosen Personen mit eigener Migrationserfahrung lag er bei 1.374 Euro netto und bei Personen ohne Migrationshintergrund bei 1.350 Euro netto.
Allerdings waren Geflüchtete bereit, für dieses Gehalt länger zu arbeiten: Die angegebene Wochenarbeitszeit lag bei Geflüchteten durchschnittlich bei knapp 37 Stunden, also 5 Stunden mehr als die angegebene Wochenarbeitszeit von anderen Personen mit eigener Migrationserfahrung und ohne Migrationshintergrund. Somit lag der Anspruchslohn von Geflüchteten bei durchschnittlich 9,70 Euro netto pro Stunde. Bei Personen ohne Migrationshintergrund lag er bei 10,10 Euro netto. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer sanken die Anspruchslöhne der Geflüchteten allerdings deutlich: Geflüchtete, die sich zwei Jahre oder kürzer in Deutschland aufhielten, erwarteten durchschnittlich mindestens 10,40 Euro netto pro Stunde. Drei Jahre nach dem Zuzug sank der Anspruchslohn auf 9,60 Euro netto.
Der Anspruchslohn stieg mit den Qualifikationen und Deutschkenntnissen der Geflüchteten sowie mit der Haushaltsgröße und dem Vorhandensein von Kindern im Haushalt. „Das könnte sowohl auf höhere Lebenshaltungskosten als auch auf höhere Transferzahlungen – etwa Hartz IV oder Asylbewerberleistungen – in Haushalten mit mehr Personen zurückzuführen sein“, so IAB-Forscher Philipp Jaschke.
Der Anspruchslohn fiel niedriger aus für Geflüchtete, die bereits Stellen über die Arbeitsagenturen und Jobcenter gesucht oder Berufserfahrungen in Deutschland erworben hatten. „Geringe Deutschkenntnisse und unvollkommene Informationen haben oft zur Folge, dass Geflüchtete bei ihrer Ankunft in Deutschland den Arbeitsmarkt nicht genau kennen. Das betrifft etwa Qualifikationsanforderungen oder Löhne und Gehälter. Diese Informationsdefizite können die Einschätzungen hinsichtlich der Erwerbschancen und der erzielbaren Löhne verzerren,“ erklärt IAB-Forscher Ehsan Vallizadeh.
Die IAB-Studie basiert auf Auswertungen der ersten fünf Wellen der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten aus den Jahren 2016 bis 2020 von knapp 7.900 seit 2013 zugezogenen Asylsuchenden im erwerbsfähigen Alter von 18 bis 64 Jahren. Die Studie ist abrufbar unter: https://doku.iab.de/kurzber/2022/kb2022-20.pdf