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Publikation

Die Kehrseite des Wandels: Strukturelle Arbeitslosigkeit

Beschreibung

"Zu Beginn der fünfziger und seit Mitte der siebziger Jahre ist der Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland durch verschiedene Formen struktureller Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die Perioden gingen einher mit jeweils einem starken Bevölkerungswachstum, durch das das Erwerbspersonenpotential erhöht wurde. In den fünfziger Jahren konnte durch ein hohes Wirtschaftswachstum und starke Wanderungsbewegungen von ländlichen Regionen in die städtischen Ballungszentren der Zustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten und aus der ehemaligen DDR allmählich integriert werden. In Landwirtschaft und schrumpfenden Branchen entlassene Arbeitnehmer fanden in den wachsenden, meist exportorientierten Zweigen der Industrie neue Arbeitsplätze. Geburtenstarke Jahrgänge, Rationalisierungen nach der ersten Ölkrise und eine langsamer wachsende Industrie führten in den siebziger Jahren erneut zu einem Defizit an Arbeitsplätzen und einem Anstieg von struktureller Arbeitslosigkeit. Dieses Defizit wurde durch die Rezession in Folge der zweiten Ölkrise verschärft. Gleichzeitig verringerten sich durch den Strukturwandel von Industrie- zu Dienstleistungsbeschäftigung die Chancen geringqualifzierter Industriearbeiter. Durch eine zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen stieg auch der Angebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt, der durch Zuwanderung von Aussiedlern, Übersiedlern und Flüchtlingen aus aller Welt verstärkt wurde. Die höheren Qualifikationsanforderungn technisch immer komplizierterer Arbeitsplätze konnten von einer wachsenden Anzahl geringqualifizierter Arbeitsloser trotz breit angelegter Qualifizierungsprogramme nicht erfüllt werden, so daß in Teilbereichen der Wirtschaft Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel nebeneinander bestanden und bestehen. Strukturelle Arbeitslosigkeit bedeutet vor allem ein Defizit an Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen. Unter diesen Bedingungen wirkten die Auswahlmechanismen im westdeutschen Arbeitsmarkt immer stärker zu ungunsten älterer und gesundheitlich eingeschränkter Arbeitnehmer sowie von Arbeitslosen ohne Ausbildung. Frauen sind - trotz steigender Erwerbsbeteiligung und gestiegener Frauenbeschäftigung - in Teilbereichen des Arbeitsmarktes nach wie vor benachteiligt. Der tiefgreifende Strukturwandel in den neuen Ländern und Berlin-Ost, dem ein Drittel der früheren Arbeitsplätze zum Opfer fielen, hinterließ trotz beträchtlicher Entlassungsmaßnahmen seitens der Arbeitsmarktpolitik mehr als eine Million Arbeitsloser. Die strukturelle Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist durch erheblich höhere Frauenanteile und bisher geringere Anteile von Älteren und gering Qualifizierten als in Westdeutschland geprägt." (Autorenreferat, IAB-Doku)

Zitationshinweis

Rudolph, Helmut (1994): Die Kehrseite des Wandels: Strukturelle Arbeitslosigkeit. In: H. G. Merk (Hrsg.) (1994): Wirtschaftsstruktur und Arbeitsplätze im Wandel der Zeit, S. 239-258.