Investitionsfinanzierung, Risikokapital und Lohnkosten
Beschreibung
"Mit dem langfristigen Anstieg der Sparquote der Haushalte ergibt sich für die Investition ein doppeltes Dilemma. Einerseits inudziert die Zunahme der Ersparnis ein Nachlassen der Konsumdynamik mit entsprechenden Absatz- und Überkapazitätsproblemen; die Risiken für Erweiterungsinvestitionen steigen. Andererseits bedeutet die relative Zunahme der Ersparnisse der Haushalte, daß die gesamtwirtschaftliche Investitionsfinanzierung mit steigenden Fremdkapitalanteilen erfolgen müßte, zumindest aber die Außenfinanzierung im Verhältnis zur Innenfinanzierung der Unternehmen zuzunehmen hätte. Die Bereitschaft der "kleinen Sparer", ihre Ersparnisse den Unternehmen als Risikokapital zur Verfügung zu stellen, ist gering, da für diese Sparergruppe Sicherheit vor Ertragserwartungen rangiert. Die Umwandlung der Haushaltsersparnisse in Eigen- bzw. Risikokapital der Unternehmen erfordert somit neue Formen der Risikoabsicherung für die breite Masse der Sparer. Die skizzierte Verschiebung von der Investitionsfinanzierung aus Gewinnen hin zu Fremdkapitalaufnahme läßt sich u.a. an der sinkenden Eigenkapitalquote der Wirtschaft ablesen. Parallel zu dieser Entwicklung läßt sich in der Bundesrepublik eine Gegenläufigkeit von Sparquote der Haushalte und Bruttoinvestitionsquote der Gesamtwirtschaft feststellen. Es zeigt sich also ein widersprüchlicher Prozeß: Steigende Ersparnisbildung müßte - wenn Vollbeschäftigung gewährleistet werden soll - zu einem Anstieg der Investitionsquote führen; das Gegenteil ist jedoch der Fall. Da der Sparquotenanstieg der Haushalte zugleich auf größere Absatzschwierigkeiten der (Konsumgüter-) Industrie hindeutet, treffen Absatzprobleme und Investitionsfinanzierungsprobleme zeitlich zusammen. Sofern die Nachfrageschwäche durch Lohnsteigerungen und/oder Arbeitszeitverkürzungen gemildert werden soll, wird tendenziell eine Zunahme der (bereinigten) Lohnquote erforderlich werden. Damit verschiebt sich jedoch die gesamtwirtschaftliche Ersparnis weiter in Richtung der Ersparnisbildung der privaten Haushalte, so daß künftig eine noch stärkere Bereitschaft der Investoren notwendig wird, eine steigende Fremdkapitalquote zu akzeptieren. Die sich aus den geschilderten Entwicklungen ergebenden Schwierigkeiten für eine zur Vollbeschäftigung hinreichende Investitionstätigkeit legen es nahe, daß die Wirtschaftspolitik verstärkt auf die von Keynes empfohlene "Sozialisierung" der Investitionsquote bzw. der Investitionstätigkeit zurückgreift."
Zitationshinweis
Zinn, Karl Georg (1978): Investitionsfinanzierung, Risikokapital und Lohnkosten. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Jg. 11, H. 3, S. 358-365.