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Publikation

Six years after the EU-Turkey Agreement: A quantitative assessment of the living conditions of Syrians in Turkey

Beschreibung

"2,9 Millionen Personen in Deutschland hatten im Jahr 2022 laut dem Statistischen Bundesamt einen türkischen Migrationshintergrund. Somit stellt die Türkei seit Jahrzehnten eins der wichtigsten Herkunftsländer von Migrant*innen in Deutschland dar. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Türkei allerdings selbst zu einem wichtigen Transit- und Zielland für Zugewanderte entwickelt. Seit 2011, dem Beginn des Krieges in Syrien, haben mehr als 3,5 Millionen Syrerinnen und Syrer Zuflucht in der Türkei gesucht. Die zunächst offen gestaltete türkische Einwanderungspolitik wich ab 2014 zunehmend Maßnahmen, die Zuwanderung aus Syrien zu begrenzen. Vorangetrieben von Deutschland beschlossen die Europäische Union (EU) und die türkische Regierung im Jahr 2016 ein Rückübernahmeabkommen. Das EU-Türkei-Abkommen verfolgte das Ziel, irreguläre Migration in die EU zu begrenzen und im Gegenzug die humanitären Bedingungen für Geflüchtete in der Türkei durch Hilfsgelder in Milliardenhöhe zu verbessern. In diesem Forschungsbericht untersuchen wir die Lebensumstände, das Wohlergehen und die Teilhabe syrischer Geflüchteter in der Türkei im Vergleich zur türkischen Aufnahmegesellschaft im Jahr 2022, sechs Jahre nach dem EU-Türkei-Deal. Wir greifen dabei auf die umfassende längsschnittlich angelegte Dateninfrastruktur zurück, die im Rahmen des TRANSMIT-Projekts in Kooperation von IAB und dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM, Humboldt Universität zu Berlin) geschaffen wurde. Die strukturierte Befragung von syrischen und türkischen Personen zu gleichen Teilen (je 1250 Befragte) ermöglicht es, die Lebensumstände von Syrerinnen und Syrern in der Türkei mit denen der türkischen Mehrheitsgesellschaft ins Verhältnis zu setzen. Die Auswertungen weisen darauf hin, dass die Lebensbedingungen, das Wohlergehen und die Teilhabe von syrischen Geflüchteten in der Türkei sich trotz des EU-Türkei-Deals prekär gestalten. So berichtet im Jahr 2022 ein Drittel der syrischen Befragten, dass ihr Einkommen nicht für Essen ausreicht. Ein weiteres Drittel kann sich mit ihrem Einkommen nicht alle nötigen Produkte der Grundversorgung leisten. Unter den syrischen Beschäftigten sind trotz einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 8 Jahren über zwei Drittel als Tagelöhner beschäftigt. Die Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse sind irregulär und stellen manuelle, häufig körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten wie im Baugewerbe oder der Landwirtschaft dar. Ähnlich wie bei Geflüchteten in Deutschland zeigt sich ein starker Gender Gap auf dem Arbeitsmarkt, allerdings befindet sich die syrische Beschäftigung in der Türkei insgesamt auf einem höheren Niveau. 39 Prozent der syrischen Frauen und 79 Prozent der syrischen Männer gehen einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach. Frauen leisten gleichzeitig den Großteil der Haushalts- und Sorgearbeit. Die Bildungsbeteiligung bleibt mit insgesamt 7 Prozent aller erwachsenen Befragten, die zum Zeitpunkt der Befragung eine Schule besucht oder abgeschlossen haben, gering. Auch hier haben Männer eine höhere Teilhabewahrscheinlichkeit als Frauen. Wir führen die vergleichsweise hohe Arbeitsmarktbeteiligung und die geringe Bildungsbeteiligung darauf zurück, dass für Syrer*innen in der Türkei neben den EU-finanzierten Notfallprogrammen kein systematischer Zugang zu sozialer Sicherung und Kinderbetreuungsangeboten besteht. Dieser wirtschaftliche Druck spiegelt sich auch in den nur moderat steigenden Anteilen von Syrer*innen mit guten Türkischkenntnissen wider: liegt er bei 5 oder weniger Jahren Aufenthaltsdauer bei 47 Prozent, steigt er nach 10 oder mehr Jahren Aufenthaltsdauer auf 63 Prozent. Anders verhält es sich mit dem Bildungszugang für syrische Kinder und Jugendliche: 85 Prozent der syrischen 6 bis 15-Jährigen besuchen eine Schule. Dieser Erfolg kann unter anderem auch auf gezielte EU- Fördermaßnahmen zurückgeführt werden. Wir untersuchen auch die Absichten und die konkreten Möglichkeiten von syrischen Geflüchteten, die Türkei zu verlassen. Ein Viertel der in 2022 befragten Syrer*innen wünscht sich, die Türkei zu verlassen. Deutschland stellt das am häufigsten genannte Wunschzielland dar. Nur ein kleiner Anteil (7 Prozent) der Personen mit Migrationsabsichten hat aber tatsächlich konkrete Pläne, die Weiterwanderung in den nächsten 12 Monaten umzusetzen. Begründet wird dies meist mit Kindern in Bildung, mit fehlenden finanziellen Ressourcen und damit, bei der Familie bleiben zu wollen. Bei Personen mit sozialen Kontakten im Ausland ist der Anteil mit konkreten Weiterwanderungsplänen noch geringer. Dies unterstreicht den hypothetischen Charakter der Migrationsabsichten, die wir in den TRANSMIT-Befragungen messen konnten." (Autorenreferat, IAB-Doku)

Zitationshinweis

Gundacker, Lidwina, Laura Hertner & Simon Ruhnke (2024): Six years after the EU-Turkey Agreement: A quantitative assessment of the living conditions of Syrians in Turkey. (IAB-Forschungsbericht 18/2024), Nürnberg, 57 S. DOI:10.48720/IAB.FB.2418

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