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Friedemann Stooß

Nachruf zum Tod von Friedemann Stooß

Mit dem Ableben von Friedemann Stooß ist ein herausragender Experte und Wegbereiter der modernen Berufsforschung von uns gegangen.

Beruf als Berufung vom Berufsberater zum Berufsforscher

Mit dem Ableben von Friedemann Stooß am Ostersonntag 2025 im Alter von fast 95 Jahren ist ein herausragender Experte und Wegbereiter der modernen Berufsforschung und ein langjähriger, hochgeschätzter IAB-Kollege der ersten Stunde von uns gegangen. Das IAB verdankt ihm in wissenschaftlicher wie auch in menschlicher Hinsicht sehr viel.

Friedemann Stooß wurde am 2. Juni 1930 in Holzelfingen auf der Schwäbischen Alb geboren. Zusammen mit drei Geschwistern wuchs er auf dem elterlichen Hof auf. Auch wenn er seinem Heimatort und der Schwäbischen Alb sein Leben lang eng verbunden blieb, hatte er beruflich anderes als die Landwirtschaft im Sinn. Sein Werdegang ist ein lebendiges Beispiel für die heutzutage allgegenwärtige Forderung nach lebenslangem Lernen und hohem beruflichen und ehrenamtlichen Engagement.

Nach dem Besuch der Volksschule, der höheren Handelsschule und der Wirtschaftsoberschule in Reutlingen legte Friedemann Stooß 1949 das Wirtschaftsabitur ab und begann anschließend eine Lehre als Industriekaufmann bei der Rohrleitungsfirma Rieber in Reutlingen. Bis 1954 arbeitete er als kaufmännischer Angestellter bei der Firma Ernst Wagner. Doch entsprach diese Arbeit nicht immer seinen Vorstellungen von einer sinnstiftenden Tätigkeit und so begann er im Oktober 1954 die Ausbildung zum Diakon bei der Evangelischen Kirche. Von April 1958 bis März 1960 studierte er am Sozialpädagogischen Seminar in Dortmund und trat nach Abschluss des Studiums als Nachwuchskraft für die Berufsberatung in den Dienst der damaligen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BA). Den Beruf eines Berufsberaters übte er in verschiedenen schwäbischen Arbeitsämtern mit viel Freude und großem Engagement aus.

In seine Studienzeit fiel auch die Phase der Familiengründung. 1958 heiratete er seine Frau Anne, mit der er drei Kinder hatte. Seine Frau verstarb nur wenige Monate vor ihm.

Doch er wollte die Welt der Berufe noch tiefer erforschen und so bewarb er sich am 1967 neu gegründeten Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der BA in Erlangen, wo man einen Praktiker aus der Berufsberatung mit fundiertem Wissen über die Welt der Berufe und der beruflichen Entwicklungen suchte. Am 15. September 1967 wurde er im IAB als Berufsexperte im Bereich Berufsforschung eingestellt. Er war damit einer der wenigen Praktiker, die im IAB als Wissenschaftler tätig waren. Vom August 1973 bis zum Beginn des Ruhestands am 1. August 1993 leitete er den Bereich Berufsforschung (später Berufs- und Qualifikationsforschung).

Die Gründung des IAB erfolgte in einer Zeit der großen Debatten um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Automatisierung für den Arbeitsmarkt und die Entwicklung der Berufe. Das IAB sollte, so der Auftrag der Politik und der Sozialpartner, Berufsprognosen erstellen, die sowohl den Individuen als auch den wirtschaftlichen und politischen Akteuren Entscheidungshilfen über die Zukunft der Berufe und die Beschäftigungsaussichten, sowie den künftigen Qualifikationsbedarf, liefern. Diese Anforderungen konnte und wollte das IAB so nicht erfüllen. Zum einen, weil hierzu bislang jegliche empirische Daten und Forschungen fehlten, zum anderen, weil solche Prognosen keine wirkliche Entscheidungshilfe für den Einzelnen darstellen würden. In jedem Falle bedürfe es zunächst der Grundlagenforschung für eine quantitativ ausgerichtete Berufsforschung, denn bis dato gab es lediglich eine soziologisch oder psychologisch ausgerichtete Berufsforschung, aber keine, die auf die Beschäftigungslage am Arbeitsmarkt ausgerichtet war.

Friedemann Stooß hat sich große Verdienste um die Schaffung der theoretischen und empirischen Grundlagen der sozial- und beschäftigungsorientierten Berufsforschung erworben. Entsprechend waren die thematischen Schwerpunkte seiner Forschungsarbeiten im IAB breit gefächert. Er forschte unter anderem zum Wandel von Arbeitswelt, Berufen und Qualifikationen, zur Weiterentwicklung der Berufssystematik zur Erfassung beruflicher Tätigkeiten, zur Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis, zur Bedeutung des Berufs in der nachindustriellen Gesellschaft und zum Konzept der Tätigkeitsschwerpunkte und Arbeitsmittel. Seine Forschungen sind in zahlreichen Veröffentlichungen dokumentiert.

Dabei war ihm die Zusammenarbeit mit einschlägigen Institutionen und Forschungseinrichtungen, hier unter anderem mit dem Statistischen Bundesamt, sowie insbesondere mit dem 1969 gegründeten Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), sehr wichtig. Hiervon zeugen mehrere gemeinsame Großprojekte, etwa die verschiedenen BiBB-IAB Erhebungen zur Arbeitssituation, zu Tätigkeitsprofilen und zur Qualifikation von Personengruppen am Arbeitsmarkt, die die Lücken der amtlichen Statistik ausgleichen sollten.

Aber er verbreitete seine Forschungsergebnisse nicht nur in Publikationen, sondern darüber hinaus in vielen Vorträgen, Expertenkommissionen, Gutachten, Studienbriefen für unterschiedliche Zielgruppen in Politik und Praxis, so zum Beispiel auch für Sozial- und Arbeitsgerichte. Dabei war ihm die enge Verbindung zur Praxis der BA und hier insbesondere zur Arbeit der Beratungs- und Vermittlungsfachkräfte immer besonders wichtig.

Ein weiterer bedeutender Forschungsschwerpunkt, den Friedemann Stooß entscheidend mitgestaltete, war die Entwicklung und Umsetzung des Konzepts der differenzierten Information über Beschäftigungsaussichten (KdI). Dieses Konzept sollte die häufigen Fragen aus der Berufsberatungspraxis, Politik, Öffentlichkeit und den Medien nach einfachen Berufsprognosen durch differenzierte Aussagen zur Beurteilung der (individuellen) Beschäftigungsaussichten in verschiedenen Entscheidungssituationen (zum Beispiel Erstausbildung, Weiterbildung, Arbeitsplatzwahl und -wechsel) und nach verschiedenen individuellen Merkmalen (zum Beispiel Alter, Geschlecht, Vorbildung, Qualifikation, et cetera) beantworten. Die Umsetzung des KdI in die drei Teile Ausbildung, Beruf, und Wirtschaftszweige sollte den Beratenden den Zugang zu den relevanten Daten ermöglichen und vor allem Auskunft geben zu der Frage, welche Berufsmöglichkeiten und Beschäftigungsaussichten sich mit einer bestimmten Ausbildung eröffnen. Zu diesem Zweck erarbeitete eine Projektgruppe des IAB, geleitet von Friedemann Stooß, das abc-Handbuch zu den Risiken und Chancen bei der Ausbildungs- und Berufswahl und aktualisierte dieses laufend. Eine wichtige Aufgabe, an der Friedemann Stooß entscheidend mitwirkte, war die Schulung der Beratungsfachkräfte der BA im Umgang mit den Daten des Handbuchs.

Friedemann Stooß war in den 20 Jahren seines Wirkens als Leiter des Bereichs Berufs- und Qualifikationsforschung nicht nur fachlich, in der Forschungs-Community, in der BA und in der Politik, hochgeschätzt. Er war mit seiner menschlichen Art und als verständnisvoller Vorgesetzter auch in seinem sozialen Umfeld sehr beliebt. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterwar er immer ansprechbar und verstand es, im eigenen Forschungsbereich und im Institut insgesamt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit zu schaffen.

Auch nach seiner Pensionierung war er weiterhin in seinem Forschungsfeld aktiv, so zum Beispiel mit dem Lehrauftrag Berufskunde an der Katholischen Universität Eichstätt, als Mitglied im Beirat der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. Stuttgart und an der Universität Karlsruhe in dem Forschungsvorhaben Vergleichende Berufsbildungsforschung.

Das IAB und die BA haben Friedemann Stooß viel zu verdanken. Er wird uns immer in Erinnerung bleiben.

Karen Schober-Brinkmann, Manfred Tessaring