Kritik der Drei-Sektoren-Theorie
Abstract
"In der gegenwaertigen wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Diskussion wird die Drei-Sektoren-Theorie mit den in ihr enthaltenen Gesetzmaessigkeiten - mit fortschreitendem wirtschaftlichen Wachstum erstellt der tertiaere Sektor einen wachsenden Beitrag zum Sozialprodukt und absorbiert im zunehmenden Masse Arbeitskraefte aus den beiden anderen Sektoren - haeufig kritiklos als Argument verwendet. Bei naeherer Betrachtung der Grundlagen der Theorie sind jedoch verschiedene Schwaechen erkennbar. Zur Unterteilung der Wirtschaft in drei Sektoren werden mehrere Einteilungskriterien (z.B. Hoehe der Einkommenselastizitaet der Nachfrage, Ausmass des technischen Fortschritts) verwendet, die jedoch alle nicht zu befriedigenden Ergebnissen fuehren. Einmal ist je nach dem verwendeten Kriterium eine andere Klassifizierung der Wirtschaftszweige erforderlich. Zum anderen sind einzelne wirtschaftliche Bereiche im Zeitablauf anderen Sektoren zuzuordnen oder stellen Grenzfaelle zwischen zwei Sektoren dar (z.B. Baugewerbe, Verkehrswesen). Eine sektorale Bereinigung allein waere jedoch nicht ausreichend. Erst eine Zerlegung nach primaeren, sekundaeren und tertiaeren Berufen oder genauer noch nach Funktionen kann eine brauchbare Basis fuer die Theorie bilden. Die Theorie basiert auf dem Doppelargument ueberdurchschnittlich wachsender Nachfrage und unterdurchschnittlich wachsender Arbeitsproduktivitaet in den tertiaeren Bereichen. Die Nachfrageentwicklung ist von einer ganzen Reihe von Faktoren (Wachstum und Aufbau der Bevoelkerung, Einkommenshoehe, -verteilung, Haushaltsgroesse, Preisstruktur und psychologische Momente) abhaengig, die statistisch bisher noch unzulaenglich analysiert sind. Die Entwicklung der Produktivitaet der tertiaeren Bereiche wird in zunehmendem Masse vom Kapitaleinsatz bestimmt. Gerade die kuenftigen Moeglichkeiten des EDV-Einsatzes in diesen Wirtschaftszweigen sind heute noch gar nicht abzusehen. Vergangenheitstrends werden deshalb kaum hinreichende Ergebnisse liefern. Modifizierungen der Theorie werden sich darueber hinaus noch durch die aussenwirtschaftlichen Einfluesse ergeben. Heute schon erkennbare unterschiedliche Entwicklungstendenzen innerhalb der tertiaeren Bereiche erfordern eine staerker differenzierende Betrachtung, die zu neuen Aggregaten fuehren kann und die Begriffe primaerer, sekundaerer und tertiaerer Sektor inhaltlich veraendern oder evtl. voellig ueberfluessig werden laesst."
Cite article
Pohl, H. (1970): Kritik der Drei-Sektoren-Theorie. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Vol. 3, No. 4, p. 313-325.