Netzwerkanalyse und Feldtheorie
Abstract
"Das Fehlen einer Theorie sozialer Netzwerke ist in der Literatur häufig kritisch angemerkt worden. Netzwerke, so der Tenor, werden im Rahmen einer Analyse lediglich empirisch beschrieben und zu selten zum Bestandteil theoretischer Überlegungen jenseits metaphorischer Assoziationen. Der Katalog der offenen Fragen ist umfangreich. Insbesondere Fragen nach der Integration einer Handlungstheorie und der Verortung von 'Kultur' haben die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen. Vor diesem Hintergrund entwickelt der Beitrag eine Integration der Netzwerkperspektive mit Bourdieus Feldtheorie. Beide Forschungsansätze teilen das Axiom der relationalen Soziologie, die sich von substanzialistischen Verkürzungen abgrenzt . Allerdings gibt es auch erhebliche begriffliche und konzeptionelle Differenzen, bei denen die Alternativen herauszuarbeiten und gegeneinander zu halten sind. Dabei wird argumentiert, dass sich Netzwerkstrukturen mit Bourdieu als Musterungen der Praxis verstehen lassen, die selbst wiederum auf tieferliegenden Strukturen basieren, die über den Habitus der Akteure situativ aktualisiert werden. Netzwerke werden somit zunächst zu abhängigen Variablen, deren Ausprägung aus den Akteurspositionen (Struktur) und -dispositionen (Habitus) erklärt werden müssen. Diese Herangehensweise bietet eine Alternative zur Netzwerkforschung, in der Netzwerke überwiegend als unabhängige und intervenierende Variable verstanden werden. Der Schritt in Richtung Feldtheorie gibt netzwerk-externen Handlungsmotivationen sowie normativen Orientierungen der Akteure einen theoretischen Raum. Umgekehrt kann auch die Netzwerkperspektive einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Bourdieus Ansatz leisten, dem immer wieder deterministische Tendenzen vorgeworfen werden. Die Bedingungen und Möglichkeiten situativer, beziehungsweise 'lokaler' Einbettung, die von Netzwerkanalytikern stark gemacht werden, können über Bourdieus Konzept des sozialen Kapitals in die 'Tiefenstrukturen' (im Sinne von Levi-Strauss 1967) eingebracht werden, auf denen seine Gesellschaftstheorie fußt. Netzwerke werden so neben anderen strukturellen Faktoren (etwa ökonomischem und politischem Kapital) sowie neben akteursbezogenen Handlungsdispositionen (Habitus) wiederum zu unabhängigen Variablen, d.h. zum Kontext ihrer eigenen Entstehung und Veränderung. Das Potenzial der Integration von Netzwerkanalyse und Bourdieus Feldtheorie wird am Beispiel des Feldes der Europäischen Inklusionspolitik illustriert. Es wird gezeigt, wie europäische Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure über unterschiedliche Strategien versuchen, die Definition des Politikgegenstands 'Inklusion' zu beeinflussen. Unterschiedliche Kapitalausstattungen und Weltbilder schlagen sich dabei in spezifischen Netzwerkpositionen und -strategien nieder. Die Rekonstruktion der Bewegungen der Akteure im Raum des sozialen Feldes basiert auf 23 qualitativen Interviews mit europäischen Akteuren, in denen die Befragten anhand von Netzwerkkarten Auskunft über Sinn und Ziel ihrer Aktivitäten im Netzwerk geben. Der Aufbau des Beitrags ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Feldtheorie als theoretischer Bezugsrahmen der Analyse umrissen. Anschließend werden die Konzepte von Struktur, Handeln und Netzwerk in der Netzwerkanalyse und der Feldtheorie einander gegenübergestellt und die Grundlinien einer Verknüpfung herauspräpariert. Der dritte Teil verdeutlicht, wie eine integrierte Vorgehensweise empirisch aussehen kann." (Autorenreferat, IAB-Doku)
Cite article
Bernhard, S. (2008): Netzwerkanalyse und Feldtheorie. Grundriss einer Integration im Rahmen von Bourdieus Sozialtheorie. In: C. Stegbauer (Hrsg.) (2008): Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie : ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften (Netzwerkforschung, 01), p. 121-131.