Ehezentrierung statt staatsbürgerlicher Solidarität der Geschlechter
Abstract
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Analyse des deutschen Unterhaltsrechts am Beispiel der Einforderung der solidarischen Einkommensteilung in Partnerschaften bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II. Diesem Prinzip der Ehegattensubsitariät liegt das Modell des männlichen Ernährers zugrunde; die Subsidaritätsregeln gelten dabei nicht nur für Eheleute, sondern auch für 'eheähnliche' Paare. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass die Risiken dieser Form von Ehegattensubsidiarität die Chancen überwiegen, indem die Gleichstellungseffekte der Erwerbsanreize für Frauen durch die gravierende Retraditionalisierung der Familienverhältnisse übertroffen werden. Die nur beschränkt einklagbare Unterhaltspflicht in Bedarfsgemeinschaften produziert neue Abhängigkeiten zumal bei Wiedereingliederungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen Erwerbslose mit besser verdienenden PartnerInnen unterprivilegiert werden. Eine empirisch-qualitative Studie zur Empfindung der Abhängigkeit betroffener Partner zeigt, dass es zwar sehr unterschiedliche Bewältigungsweisen für die neuen Abhängigkeiten gibt, dass aber mehrheitlich die Anrechnung des Einkommens der Partner als schädlich für die Partnerschaft interpretiert wird. Die Autorinnen ziehen das Fazit, dass die den Reformen zugrunde liegende Annahme der partnerschaftlich-solidarischen Einkommensteilung im Widerspruch steht zu individuellen Rechten und staatsbürgerlicher Gleichheit. (IAB)
Cite article
Wersig, M., Künzel, A. & Berghahn, S. (2006): Ehezentrierung statt staatsbürgerlicher Solidarität der Geschlechter. Wohin führen die Reformen im deutschen System der Existenzsicherung? In: U. Degener & B. Rosenzweig (Hrsg.) (2006): Die Neuverhandlung sozialer Gerechtigkeit : feministische Analysen und Perspektiven (Politik und Geschlecht, 18), p. 301-319.